Die Eid- und andere Genossenschaften

David Dürr / 17. Juni 2022 Tell! / August 2022


Eine bemerkenswert grossmäulige Organisation, diese «Schweizerische Eidgenossenschaft», mit ihrem Goldkuppelpalast an bester Lage im Zentrum von Bern und einem Auftritt in den Medien, wie wenn sie die «offizielle» Schweiz wäre. Dabei ist sie eigentlich nichts anderes als irgend sonst eine Genossenschaft, zwar eine recht grosse mit immerhin 40'000 Mitarbeitern. Aber es gibt auch noch grössere in der Schweiz, beispielsweise die Migros- oder die Coop-Genossenschaft, die jeweils mehr als doppelt so viele Mitarbeiter haben; und trotzdem tun diese nicht so, wie wenn sie die Schweiz wären und den Leuten ständig Vorschriften machen und Verbote auferlegen könnten.

Genau das aber macht die Schweizerische Eidgenossenschaft. Sie erhebt landesweit direkte und indirekte Steuern von jährlich immerhin 80 Milliarden Franken, sie zwingt Männer zum Militärdienst, sie verbietet den Bau von Kernkraftwerken, sie erklärt ihre konkursreife AHV für obligatorisch, sie lässt wegen einer angeblich grassierenden Pandemie Geschäfte, Restaurants oder Schulen schliessen. Will man sich gegen solche Übergriffe wehren, verbietet sie, dies mit Gewalt zu tun, während sie für sich völlig unverblümt ein Gewaltmonopol beansprucht; nur vor einem Gericht dürfe man sich wehren, aber nur bei Richtern, die bei ihr auf der Lohnliste stehen. Migros und Coop könnten sich derartiges nie erlauben! 

Aber warum erlaubt sich dies die «Schweizerische Eidgenossenschaft»? Nun, sie behauptet, das sei «demokratisch» legitimiert, all diese Übergriffe seien durch Gesetze abgedeckt, die das Volk selbst beschlossen habe. – Dumm ist nur, dass dies nicht stimmt. Schon einmal nachgezählt? Vors Volk kommt nicht einmal ein Prozent aller Bundesvorschriften und die Zustimmung liegt jeweils nicht höher als bei 15 bis 20% des Volkes (viele sind nicht stimmberechtigt, nehmen nicht teil oder stimmen nicht zu); nur etwa 25% der Bundesvorschriften wird vom Parlament beschlossen, doch eine Stellvertretung des Volkes ist das ja nicht wirklich, schon eher eine Bevormundung; satte 75% der Vorschriften kommen von der Regierung und der Verwaltung; da hat das Volk rein gar nichts zu sagen. Kurzum: Keine Spur von Demokratie im Sinn einer echten Volksherrschaft.

Manchmal versucht es die Eidgenossenschaft noch mit dem skurrilen Argument, die Staatsgründung im Jahr 1848 sei ein Gesellschaftsvertrag gewesen, mit dem wir uns einträchtig und feierlich zu einer grossen Selbsthilfeorganisation, eben dieser Eid-Genossenschaft, zusammengeschworen haben. Daran ist so ziemlich alles falsch: 1848 fand ein völkerrechtswidriger Staatsstreich von oben statt; da hat eine Mehrheit der Kantone, die sogenannten «liberalen», die katholischen Minderheitskantonen in diesen neuen Verbund gezwungen, obwohl dies nur mit Einstimmigkeit aller Kantone zulässig gewesen wäre. Und einträchtig war es überhaupt nicht; es war das Ende des Sonderbundskrieg, bei dem die Liberalen militärisch gewonnen und die Konservativen verloren hatten und nun die Sieger das zelebrierten, was man Siegerjustiz nennt. 

Und wollte man noch an die Fiktion jenes angeblichen Gesellschaftsvertrags bei der Staatsgründung von 1848 glauben, so wäre das höchstens ein Grund, für die damaligen Vertragspartner verbindlich zu sein; doch diese sind alle schon seit mehr als 100 Jahren tot. Für die Frage, ob sich solche Vertragspflichten vererben und wer dann jeweils die Erben sind, hat sich das Staatsrecht wohlweislich noch nie interessiert. 

Es gibt also keinen überzeugenden Grund, weshalb die «Schweizerische Eidgenossenschaft» etwas anderes sein soll als einfach eine Genossenschaft so wie die Migros und andere Genossenschaften auch. Also müssten auch für sie die Regeln gelten, die sich bei Genossenschaften seit deren Aufkommen im 19. Jahrhundert bewährt haben. Diese Regeln sind nachzulesen im schweizerischen Genossenschaftsrecht (einem Kapitel des Obligationenrechts). Dort gibt es einen Gesetzesartikel 842 Absatz 1, der wie folgt lautet:

«Solange die Auflösung der Genossenschaft nicht beschlossen ist, steht jedem Genossenschafter der Austritt frei.»

Angewendet auf die Schweizerische Eidgenossenschaft bedeutet dies: Sie hat bis jetzt nicht ihre Auflösung beschlossen, also haben alle in diese Grossgenossenschaft eingebundenen Landesbewohner das Recht, auszutreten. Das heisst nicht, dass sie deswegen das Land verlassen müssten. Wer aus der Migros-Genossenschaft austritt, muss dies auch nicht; er gibt nur seine Mitgliedschaft in dieser Organisation auf, nicht auch seinen Wohnsitz. Und genau so muss es auch bei der Organisation namens «Schweizerische Eidgenossenschaft» sein.

Spricht sich dies herum, könnte es zu einer regelrechten Austrittswelle kommen – nicht bei der Migros, aber bei der Eidgenossenschaft. Dagegen könnte sich diese nur mit einem Mittel wehren, nämlich indem sie ihre eigene Auflösung beschliesst. Warum auch nicht?


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