Macht versus Recht in Spanien
David Dürr - eigentümlich frei Dezember 2019
Katalanische Separatisten vor dem spanischen Verfassungsgericht
Beim kürzlichen Urteil des spanischen Gerichts «Audiencia Nacional» mit langjährigen Gefängnisstrafen für katalanische Separatisten hat wieder einmal die Macht gewonnen und das Recht verloren. Das geschieht gar nicht so selten; eigentlich fast immer, wenn der Staat sich berufen fühlt, in rechtlichen Dingen eine Rolle zu spielen. Und das tut er ja prominent: Er erlässt Gesetze, führt Untersuchungen, stellt Richter, vollzieht Urteile, und all dies sogar dann, wenn er selbst Partei des betreffenden Konflikts ist. Dass er da seine Macht nicht kritisch beurteilt, sondern vor allem durchsetzt, ist nicht weiter erstaunlich, bloss hat dies nichts mit Recht zu tun. Da wird nicht Recht gesprochen, sondern Recht gebrochen.
Ein solcher Rechtsbruch geschah nun also kürzlich mit dem erwähnten Urteil gegen katalanische Separatisten. Deren Verbrechen sei es gewesen, im Jahr 2017 eine Volksabstimmung durchgeführt zu haben über die Frage, ob Katalonien aus dem spanischen Staat austreten soll. Das sei vor allem wegen der damit verbundenen Gewaltausbrüche nichts anderes als «Aufruhr» wenn nicht gar «Revolution» gewesen und eben dies seien – nach dem vom spanischen Staat erlassenen Strafgesetzbuch – schwere Delikte. Bezeichnenderweise spricht man bei diesen Gesetzesbestimmungen von «Staatsschutznormen», womit der staatliche Gesetzgeber recht unverblümt zugibt, worum es ihm geht: Nicht sich rechtlicher Beurteilung zu unterziehen, sondern sich vor rechtlicher Beurteilung zu schützen. Er sorgt als Gesetzgeber dafür, dass die Infragestellung seiner Macht zum Delikt werden kann.
Und als Richter sorgt er dafür, dass eben dies dann im Urteil so herauskommt. Auch hier geht er mit bemerkenswerter Unverblümtheit ans Werk, indem er selbst die Richter stellt und bezahlt. Das ist, wie wenn man beispielsweise im Streit mit einer grossen Pharmafirma stünde, deren Medikamente einem geschadet haben, und diese Firma nun die Richter aus dem Kreis ihrer eigenen Angestellten stellen würde. Da könnte auch die Ausrede einer sogenannten „Gewaltenteilung“ nicht wirklich Vertrauen schaffen. Wer derart eng mit einer der Konfliktparteien verbandelt ist, kann nicht neutraler Richter sein, und mag er sich noch so wohlklingend «Audiencia» (Anhörung) nennen. Aus einem derart absurden Verfahren kann der Staat gar nicht anders denn als Sieger hervor gehen.
Nun haben die verurteilten Separatisten angekündigt, sie wollen den Fall an das spanische Verfassungsgericht weiterziehen; also an jene Instanz, die nicht einfach den Staat, sondern vor allem auch die verfassungsmässigen Grundechte der Bürger schützen soll. Bloss war es just dieses Verfassungsgericht, das bereits im Jahr 2016 die Sezessionsabstimmung der Katalanen als verfassungswidrig bezeichnet hatte. Dass das gleiche Gericht nun zum Schluss kommen könnte, die Verurteilung der Separatisten sei verfassungswidrig, ist nicht zu erwarten. Ganz abgesehen davon, dass auch die Verfassungsrichter auf der Lohnliste des spanischen Zentralstaates stehen.
Und dann, sagen die katalanischen Separatisten, würden sie halt an internationale Instanzen gelangen, um sich auf das völkerrechtlich anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Völker zu berufen, das beispielsweise in der UNO-Charta festgehalten ist und wofür man sich an bestimmte UNO-Ausschüsse wenden könne. Das Problem ist allerdings auch hier, dass solche Verfahren staatlich durchsetzt und finanziert sind. Nicht zufällig gewichtet die Praxis des Völkerrechts, wenn es um die Sezession aus einem bestehenden Staat geht, dessen Interesse höher als dasjenige der Separatisten.
Je höher die Instanz, desto grösser die Macht und desto verlorener das Recht.