Sri Lanka als Staatskundeunterricht
David Dürr – eigentümlich frei / September 2022
Sri Lanka bietet uns gerade einen anschaulichen Staatskundeunterricht. In schulbuchartiger Klarheit wird vorgeführt, worin Wesen und Verhalten dieser erstaunlich verbreiteten Gesellschaftsform namens «Staat» liegt.
So hat der Staat Sri Lanka wie manch andere Staaten auch eine Geschichte, in der es einmal eine Unabhängigkeitserklärung gab, das heisst eine Befreiung aus irgendeiner grösseren Zwangsordnung, wie etwa einer absoluten Monarchie, einem europaweiten Kaiserreich oder – im Fall Sri Lankas – aus dem britischen Kolonialreich. Und immer bei solchen «Befreiungen» wusste das Land nichts Gescheiteres zu tun, als sogleich einen eigenen Staat auszurufen, mit anderen Worten die bisherige Zwangsordnung nahtlos gegen eine nächste einzutauschen. In europäischen Ländern waren dies die im 19. Jahrhundert entstandenen Nationalstaaten, in Sri Lanka war es der 1948 in die Unabhängigkeit entlassene Inselstaat Ceylon.
Diese Staaten geben sich dann jeweils eine Bezeichnung, die nach Macht des Volkes und Gemeinwohl tönt, wie etwa «Bundesrepublik Deutschland», «Schweizerische Eidgenossenschaft» oder besonders üppig «demokratische sozialistische Republik Sri Lanka». Tatsächlich aber werden diese Staaten jeweils von einer kleinen Führungsgruppe regiert, die vor allem etwas gar nicht mag, nämlich Unabhängigkeitsbewegungen innerhalb des eigenen Landes. Typischerweise führt dies zu landesinternen Unterwerfungskriegen gegen kulturelle, sprachliche oder religiöse Minderheiten mit dem Ziel eines landesweit vereinheitlichten Zentralstaats. In der Schweiz war es 1848 so weit, in Italien 1870, in Deutschland 1871 und in Sri Lanka 2009 mit dem brutalen Niederringen tamilischer Separatisten. Der siegreiche General eines solchen Kriegs lässt sich dann jeweils als Befreier oder Befrieder feiern, in Sri Lanka beispielsweise war dies Mahinda Rajapaksa.
Hat dieser Befreier so die Macht im Land erlangt, folgt typischerweise deren Konsolidierung für sich und seine Freunde sowie die zügige Umsetzung in klingende Münze. Zu diesem Zweck wird Staatlichkeit kräftig hochgefahren, werden Ministerien und Ämter in zunehmender Zahl geschaffen, formieren sich Freunde des Machtinhabers als politische Parteien und beschliessen als Parlamentarier die Gesetze des Landes. Diese nun offiziellen Gesetze sorgen dafür, dass der Staat für alles und jedes zuständig wird, für Gesundheit, Infrastruktur und andere Milliardengeschäfte, in denen dann der Machtinhaber mit seinen Freunden und Klienten ein komfortables Auskommen finden. In Sri Lanka beispielsweise waren schon bald die Schaltstellen des Staatspräsidenten, des Regierungschefs, des Wirtschafts-, des Verteidigungs- und des Finanzministers sowie Parlamentssitze von Brüdern und Neffen namens Rajapaksa besetzt.
Für das viele Geld, das nun in die staatliche Machtzentrale strömt, erbringt diese keinerlei Gegenleistung; sie muss es einfach einkassieren als «Steuern», einfach drucken als «Geldschöpfung des Zentralbankensystems», einfach absahnen als «Konzessionsabgaben» oder einfach erzwingen als «Busse für den Verstoss gegen staatliche Vorschriften». Werte werden also nicht geschaffen, sondern nur umverteilt, vom stets ärmer werdenden Volk zur zunehmend wohlhabenden Machtzentrale. In Sri Lanka beispielsweise soll die Familie Rajapaksa inzwischen bemerkenswert reich geworden sein.
Meist dauert es erstaunlich lange, bis das mit «Staatlichkeit» übertünchte Räuberspiel durchschaut wird. Etwa in Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern ist es noch immer nicht so weit. In Sri Lanka immerhin hat das geprellte Volk nun eben den Rajapaksa-Clan aus seinen Staats-Palästen verjagt.
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