Sturm auf das Staatshaus
David Dürr – eigentümlich frei / März 2023
Es scheint im Politzirkus gerade Mode zu sein, dass Leute, die mit der Wahl eines Staatspräsidenten nicht einverstanden sind, mit lautem Getöse zum Staatshaus stürmen, ziemlich forsch in dieses eindringen, ungehobelt durch die die sonst so feierlichen Hallen grölen, mit dem hochglanz-polierten Mobiliar nicht eben pfleglich umgehen, und schliesslich, wenn sie einmal im Zentrum der Macht, gleichsam in der Herzkammer des Staatsgotts angekommen sind, dort, wo sonst nur die ganz wenigen Hohepriester des allerheiligsten Grals ihr geheimnisvolles Werk vollbringen – eigentlich gar nichts Besonderes tun. Fast etwas ratlos stehen sie dort herum; vielleicht überrascht, den Gral nicht vorzufinden. Auch den Präsidenten, den sie nicht mögen, suchen sie vergeblich; der hat sich schon mal aus dem Staub gemacht.
So war dies eben kürzlich wieder in Brasilien, ein halbes Jahr früher war es so in Sri Lanka, und vor zwei Jahren – dort wie üblich besonders schrill – in den USA. Da waren diese Eindringlinge nicht einverstanden mit Lula da Silva, mit Gotabaya Rajapaksa beziehungsweise mit Joe Biden. In den Medien hiess es dann jeweils, es sei dieser Meute darum gegangen, anstelle des gewählten einen anderen, nämlich den abgewählten Präsidenten ins Amt zurückzubringen, konkret also Bolsonaro beziehungsweise Trump.
Wirklich plausibel ist das aber nicht. Denn die Wut, aus der so etwas hervorbricht, ist eine Wut nicht für, sondern gegen etwas; nicht für, sondern gegen einen Präsidenten; nicht für Bolsonaro oder Trump, sondern gegen Da Silva und Biden. Wut ist immer gegen, nie für etwas gerichtet; sonst wäre es nicht Wut, sondern Freude. Die Anhänger Lulas und Bidens haben ihren Kandidaten ja auch nicht aus Wut, sondern aus Freude gewählt.
Das zeigt auch das dritte Beispiel, jenes von Sri Lanka, wo ziemlich genau das gleiche ablief wie in Brasilia und Washington; und dabei ging es überhaupt nicht darum, einen anderen Präsidenten hineinzubringen. Worum es ging, war einzig, den amtierenden hinauszukomplimentieren (der sich natürlich ebenfalls schon aus dem Staub gemacht hatte). Wer statt ihm nachfolgen sollte, interessierte die Eindringlinge nicht. Im Gegenteil, am liebsten wäre es ihnen gewesen, es würde nie mehr ein Präsident dort einziehen. Sie hatten definitiv genug von all dem, was ihnen seit Jahren aus diesem Staatshaus zugemutet wird. Aus diesen Hallen, die immer so tun, wie wenn sie heilig wären; wie wenn dort die absolute Wahrheit, die ultimative Gutheit, und die objektive Gerechtigkeit aufbewahrt würden; wie wenn alles, was von dort kommt, andächtig entgegengenommen und widerspruchslos befolgt werden müsste.
Doch irgendeinmal hat man genug von dieser Show, wird es offensichtlich, dass von dort nicht Wahrheit, Gutheit und Gerechtigkeit kommen, sondern so ziemlich das Gegenteil davon mit bemerkenswert häufigen Lügen, Übergriffen und Betrügereien. Dann wird aus andächtigem Gehorsam empörte Wut und es entsteht eine grosse Lust, einfach mal dorthin zu gehen, mitten in diese angeblich so heiligen Hallen, sich ganz ungeniert dort umzusehen, sich in den teuren Fauteuils hinzufläzen, eine Abkühlung im präsidialen Swimmingpool zu nehmen, eine feine Zigarre aus dem edlen Mahagoni-Schrank zu paffen – und mit all dem klarzumachen: Da soll keiner mehr kommen, sich hier auf den Thron setzen und so tun, wie wenn er für Wahrheit, Gutheit und Gerechtigkeit zuständig wäre! Keiner, weder von links noch von rechts, sei es Lula, Biden, Rajapaksa, Bolsonaro oder Trump – oder wie sie alle heissen, diese Hohepriester des heiligen Grals in Ost und West, in Nord und Süd!
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