Wenn das Anarcho-Virus umgeht
David Dürr - eigentümlich frei Mai 2020
Dann wird der Staat den totalen Krieg dagegen führen wollen
Nebst dem Corona- und vielen anderen Viren gibt es auch das Anarcho-Virus. Im Gegensatz zu jenen ist dieses allerdings nicht schädlich, sondern nützlich, macht es nicht krank, sondern gesund, lähmt es nicht die Wirtschaft, sondern beflügelt sie, bringt es nicht Unglück, sondern Glück. Und doch ist es ein Virus. Das zeigt sich am typischen Verlauf von Ansteckung und Symptomausbruch, an der Art und Weise der Verbreitung und an der panischen Reaktion der staatlichen Behörden.
So kommt es auch beim Anarcho-Virus dadurch zur Ansteckung, dass Menschen einander die Hand geben, sich freundschaftlich umarmen, zusammen ins Gespräch kommen, mit Kollegen Pläne schmieden, das Glück im Sinn des Worts in die eigenen Hände nehmen. Das steckt insofern an, als es zu jeder gegebenen Hand auch eine partnerschaftliche Gegenhand, zu jeder Umarmung eine herzliche Erwiderung, zu jedem Geschäftsvorschlag eine freie Antwort, zu jedem Konflikt ein gemeinsames Ringen nach einer Lösung gibt. Und was aus dieser horizontalen Gegenseitigkeit hervorgeht, nämlich der eigene Meister zu sein, verschiebt sich nicht vom einen zum andern, sondern nistet sich – gleich dem Corona-Virus – auf beiden Seiten ein.
Sodann die Symptome: Gleich wie beim Corona-Virus brechen sie auch beim Anarcho-Virus nicht immer aus oder allenfalls bloss schwach; etwa indem der Infizierte nicht viel mehr als eine gewisse Freude an seiner Entscheidungskraft entwickelt. Die Symptome können aber auch stärker sein und beim Infizierten eine regelrechte Aversion gegen jede Beeinträchtigung seiner Autonomie entstehen lassen. Das kann dazu führen, dass er nicht bloss auf behördliche Unterstützungen oder sonstige Segnungen von oben verzichtet, sondern überhaupt jede Einflussnahme seitens des Staates als illegitimen Übergriff erkennt, als rechtswidrige Anmassung eines selbstherrlichen Machtmonopols. Von daher übrigens hat das Anarcho-Virus seinen Namen: Machtmonopol heisst auf Griechisch «Arche» und dessen Ablehnung folglich «An-Arche».
Auch die Verbreitung des Anarcho-Virus erfolgt gleich wie diejenige des Corona-Virus, nämlich dadurch, dass die geschilderten Einzeltransaktionen nicht nur sporadisch, sondern täglich abermillionenfach quer durch die ganze Gesellschaft hindurch in tausendfachen Varianten stattfinden; nicht planmässig gesteuert, nicht zentral kontrolliert, sondern spontan wie es kommt, entlang dem epidemischen Geschehen autonom entschiedener Handschläge, Partnerschaften, Lebenspläne, Unternehmungen, Konfliktlösungen. Zivilgesellschaft ist nichts anderes als die epidemische Verbreitung des Anarcho-Virus.
Das sieht der Staat, dieser zentralistische Planer und Regulierer, natürlich gar nicht gern. Sein ganzes Trachten ist verbissener Kampf gegen das Anarcho-Virus: Argwöhnisch beäugt er jeden privaten Deal, streng kontrolliert er private Unternehmen, schikanös behindert er ganze Wirtschaftsbereiche, vor allem solche mit grossem zivilgesellschaftlichem Impakt wie den Bildungs-, den Infrastruktur-, den Finanz-, den Kommunikations- oder den Gesundheitsbereich. Höchst ungern duldet er zivilgesellschaftlichen Dialog und damit private Vereine, Veranstaltungen, Menschenansammlungen. Nur so erklärt sich, was der Staat uns derzeit an notrechtlichen Ausgangssperren, Kontaktverboten, Quarantänen, Reisebeschränkungen, Geschäftsschliessungen, Arbeitsbehinderungen und Einmischungen in rein private Verhaltensweisen zumutet. Das kann nicht wegen einer Grippe sein. Einen solch totalen Krieg führt niemand gegen das Corona-Virus; das muss ein Krieg gegen das Anarcho-Virus sein.