Die Absurdität der „Staats-Delegitimierung“
David Dürr – eigentümlich frei / April 2024
Die sogenannte „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ist wieder einmal Gesprächsthema. Erst vor kurzem hat ihn der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz in einer öffentlichen Verlautbarung verteidigt. Entstanden ist der verfassungsschützerisch beobachtete „Phänomenbereich“ im Frühling 2021 als Folge massiver Kritik gegen die damaligen staatlichen Corona-Massnahmen. Dass jene Proteste nicht nur die polizeilichen Ordnungskräfte, sondern auch den Bundesverfassungsschutz interessierten, hatte einen ganz bestimmten Grund: Die Demonstranten ärgerten sich nicht einfach über die Einschränkungen als solche, sondern begannen, über die Ursachen der behördlichen Dauerübergriffe nachzudenken und dabei festzustellen, dass der Staat – einmal mehr – nicht die Lösung, sondern die Ursache des ganzen Problems war.
Das allein hätte den Verfassungsschutz noch nicht auf den Plan gerufen. Denn mit dem Staat unzufrieden darf man sein (Zufriedenheit der Untertanen war ohnehin noch nie sein erstes Anliegen). Ja man darf seine Unzufriedenheit mit dem Staat auch aussprechen und, wenn es sein muss, gar mit erhobener Faust hinausschreien. Der Staat ist dann jeweils sogar stolz, ein liberaler Rechtsstaat zu sein, der die sogenannte Meinungsäusserungsfreiheit – ungern zwar – gewährt.
Was nun aber zu weit ging damals 2021, war die Äusserung der Meinung, dass der Staat hier nicht einfach falsch entschieden habe und nun gefälligst aufhören soll, sondern dass es ihm ganz grundsätzlich nicht zustehe, anderen Menschen etwas gegen ihren Willen aufzuzwingen; oder eben: dass ihm, dem Staat, die Legitimation zu solchen Eingriffen abzusprechen sei. Da musste etwas gehen; und so wurde der neue Überwachungs-„Phänomenbereich“ eröffnet.
Das sorgte allerdings schon bald für Kritik, nicht nur von den jetzt besonders intensiv überwachten Massnahmen-Gegnern, sondern auch von besonnenen Liberalen, die das Risiko einer totalitären Gesinnungspolizei aufkommen sahen. Das war denn auch der Grund, weshalb der Verfassungsschutz sich beeilte zu differenzieren, dass diese Staats-Delegitimierung oft verbunden sei mit anderen, gewaltaffinen Kreisen, wie etwa – wer denn sonst – Rechtsextremen und Reichsbürgern. Dies sei der Grund für die Überwachung, nicht die Staats-Delegitimierung als solche.
Für bürgerlichen Anarchismus – das Motto dieser Kolumne seit vielen Jahren – eröffnet dies interessante Optionen: Zwar gehört nun bürgerlicher Anarchismus mit seiner grundsätzlichen Ablehnung des Staats als einer illegitimen und gewaltaffinen Zwangsorganisation zum überwachten „Phänomenbereich“ des Verfassungsschutzes, doch mangels Affinität zu Rechtsextremen und Reichsbürgern (die ja ebenfalls einen Staat wollen) dürfte wenig Ungemach drohen. Also konzentrieren wir uns doch strikt auf das Thema der Staats-Delegitimierung, das als solches ja nicht zu beanstanden sei. Und wenn uns der Staat dabei beobachtet, dann sei es; vielleicht lernt er noch etwas dabei:
Beispielsweise, dass es ohnehin absurd ist, von einer „Delegitimierung“ des Staats zu reden. Das suggeriert nämlich, dass er irgendeinmal Legitimation hatte und ihm diese nun entzogen würde. Das stimmt aber nicht. An Legitimation fehlte es dem Staat schon immer. Schon sein Aufkommen vor fünf Jahrtausenden in Mesopotamien und all die späteren Staatsbildungen etwa des 19. Jahrhunderts in Europa waren gewaltsam, meist kriegerisch den Menschen aufgezwungene Strukturen, reine Machtgebilde, von Legitimation keine Spur!
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