Anarchismus in Pandemiezeiten
David Dürr - eigentümlich frei Juni 2020
Liefern Pandemien wie zum Beispiel die derzeitige Corona-Pandemie Argumente gegen Anarchismus? Sind Pandemien nicht die ganz wenigen Ausnahme-Situationen, wo selbst hartgesottene Anarchisten von ihrem Prinzip der Staatslosigkeit abweichen müssen, wenn auch nur ganz wenig, nur gerade für die Zwecke einer effizienten Pandemiebekämpfung? Bringen solch dramatische kollektive Notsituationen Anarchisten nicht in ein schwieriges Dilemma?
Antwort: Überhaupt nicht, im Gegenteil! Je dramatischer die Situation, je gefährlicher die Pandemie, je kollektiver die Auswirkung, desto wichtiger ist es, keinen Staat zu haben. Das entspricht einer alten Erfahrung der Menschheitsgeschichte. Wenn etwas gegen den Staat spricht, dann sind es die Pest, die Hungersnot, die Umweltzerstörung, der Krieg. Das hat zwei Gründe: Zum einen macht der Staat als dies nur noch schlimmer. Und zum anderen gäbe es ohne ihn diese Probleme nicht.
Beispiel Pandemie
Eine Krankheit wird erst zur Pest oder, wie man heute sagt, zur Pandemie im Sinn eines sozialen Albtraums mit Panik, Aggressivität und Denunziantentum, indem man ihre Bekämpfung einem Machtmonopolisten anvertraut. Wie alles, was ein Machtmonopolist tut, hat auch Krankheitsbekämpfung bei ihm nur einen Zweck, nämlich sein Machtmonopol zu stärken und die Untertanen noch mehr zu erniedrigen. (Kommt Ihnen das in diesen Corona-Zeiten bekannt vor?) Überlässt man die Krankheitsbekämpfung stattdessen der Zivilgesellschaft, das heisst den unzähligen in ihr agierenden Ärzten, Spitälern, Versicherungen, Selbsthilfeorganisationen, Berufsverbänden, Schulen, Kirchen, Familien und nicht zuletzt den Millionen täglich in Selbstverantwortung trainierten Bürgern, so wären zwar auch nicht alle gleich gesund, aber die Schäden wären kleiner als was wir jetzt gerade erleben. Corona wurde übrigens auch deshalb zur Welt-Pandemie, weil jeweils staatliche Stellen darüber befanden, was wann überhaupt bekanntgemacht werden darf. Da wurden natürliche Alarmfunktionen einer dezentral strukturierten Zivilgesellschaft obrigkeitlich ausgeschaltet mit den Konsequenzen, die wir nun kennen.
Beispiel Hungersnot
Wenn Leute, ja ganze Länder Hunger leiden; muss da nicht auch der Anarchist zugeben, dass es ohne staatliche Hilfsprogramme nicht geht? – Nein, muss er nicht. Denn der Staat macht das Problem mit seinen monopolisierten, ineffizienten, steuerfinanzierten, korruptionsanfälligen Hilfsprogrammen nicht nur schlimmer, sondern ohne ihn gäbe es schon gar keine Hungersnöte. Wir wissen ja, je höher die Staatsquote, desto leerer die Läden und desto länger die Warteschlangen.
Beispiel Umweltzerstörung
Muss Anarchismus nicht wenigstens beim Klimawandel eine Konzession an staatliche Regulierung machen? – Nein, muss er gar nicht. Denn soweit ein solches Problem überhaupt besteht, wird die dezentrale zivilgesellschaftliche Konfliktaustragung erfolgreicher sein als eine ideologisierte Top down-Regulierung. Und auch hier wiederum: Geschaffen werden Umweltprobleme von Staaten, wenn man beispielsweise an die staatlich verbilligten Mobilitäts- oder Energiekosten denkt, welche das umweltdienliche Spiel von Angebot und Nachfrage stören.
Und Beispiel Krieg
Lässt sich denn Krieg mit Anarchismus bekämpfen, muss nicht wenigstens hier der Anarchist einer staatlichen Verteidigung zustimmen? – Nein, darf er auf keinen Fall. Staatliche Verteidigung gibt es nicht, es gibt nur staatliche Aggression.