Freiheit, Frieden, Demokratie
David Dürr – eigentümlich frei / Juli 2024
Über das vergebliche Warten auf eine Verfassung
Kürzlich wurde wieder mal mit Pomp der Staat gefeiert. Anlass war der 75. Jahrestag seit Inkrafttreten des deutschen Grundgesetzes. Auf der Website der Bundesregierung wurden alle eingeladen, am „Demokratiefest“ mitzufeiern unter dem Motto „75 Jahre Freiheit, Frieden und Demokratie“.
Was man nicht so prominent lesen konnte, war, dass vor 75 Jahren nicht einmal das Grundgesetz selbst annahm, man habe nun Freiheit, Frieden und Demokratie erreicht. Das konnte es schon deshalb nicht, weil es von fremden Besatzungsmächten orchestriert worden war und das deutsche Volk dazu rein gar nichts zu sagen hatte. Immerhin war es ehrlich genug, seinen provisorischen Charakter zu deklarieren, indem es sich nicht „Verfassung“, sondern bloss „Grundgesetz“ nannte und in Artikel 146 festhielt: «Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.»
Freiheit war somit erst in Aussicht gestellt. Auch Demokratie (=Volksherrschaft) war das damals noch nicht wirklich, solange das Volk sich nicht selbst seine Verfassung gegeben hatte. Und von Frieden konnte schon gar nicht die Rede sein, Krieg herrschte – kalt zwar – unvermindert weiter. Damals im Jahre 1949.
Heute nun, 75 Jahre später, da man «Freiheit, Frieden und Demokratie» feiert, ist dies alles – noch immer gleich. Noch immer hat das deutsche Volk nicht in freier Entscheidung seine eigene Verfassung beschlossen; noch immer wartet es somit auf Freiheit und Volksherrschaft; und Krieg führt Deutschland mittlerweile nicht mehr nur kalt, sondern schon merklich wärmer. Noch immer wartet das deutsche Volk auf Freiheit, Frieden und Demokratie.
Um davon abzulenken, wurde zwischendurch, im Jahr 1990, der erwähnte Artikel 146 des Grundgesetzes ergänzt. Mit dem damals eingefügten, hier unterstrichen markierten Einschub lautet der Artikel seither so: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
Anlass zu dieser Ergänzung war die damalige Wiedervereinigung Deutschlands. Auch sie war eine Pendenz des Grundgesetzes von 1949, das in seiner Präambel die Vereinigung Deutschlands als Zielsetzung beschworen hatte und diese nun im Jahr 1990 als vollendet abhaken und eben dies in Artikel 146 festhalten konnte.
Und jetzt der Trick: Wenn man schon daran war, die Vollendung der Einheit festzuhalten, warum nicht gleich die Pendenz der „Freiheit“ miteinzupacken und so zu tun, wie wenn auch sie nun vollendet wäre, und dies bei der Gelegenheit ebenfalls in Art. 146 festzuhalten. Zwar steht der Satz vom Vorbehalt der vom deutschen Volke frei beschlossenen Verfassung noch immer, doch erscheint dies jetzt nur noch als technische Modalität, auf welchem Weg das Grundgesetz ersetzt werden könnte. Die viel grundsätzlichere Bedeutung des Artikels, nämlich dass das Grundgesetz ein notrechtliches Provisorium der Besatzungsmächte ist und möglichst bald durch eine frei beschlossene Verfassung des deutschen Volkes ersetzt werden sollte, wurde kunstvoll ausgeblendet.
Der Trick hat offensichtlich funktioniert. Sonst würde man heute nicht „75 Jahre Freiheit, Frieden und Demokratie“ feiern.
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