150 Jahre Antiautoritäre Internationale
David Dürr – eigentümlich frei / Januar/Februar 2023
Vor 150 Jahren, im Herbst 1872, wurde bei uns in der Schweiz die anarchistische Bewegung „Antiautoritäre Internationale“ gegründet. Eine wichtige Rolle spielten dabei Uhrmachergewerkschaften, die in abgelegenen Tälern des Jura-Hügelzugs die Freiheit suchten und mit so prominenten sozialistischen Anarchisten wie Michail Bakunin und Piotr Kropotkin in Kontakt standen. Es sind denn auch vor allem Linke, die sich heute stolz als Nachfolger jener anarchistischen Pioniere wähnen.
Zu Unrecht, mit Sozialismus hatte dies überhaupt nichts zu tun. Sozialismus ist das Gegenteil von Anarchismus, wie es gerade die Geschichte der Antiautoritären Internationalen exemplarisch zeigt:
Einige Jahre zuvor, 1864, war in London die „Internationale Arbeiterassoziation“ gegründet worden, besser bekannt als „Erste Internationale“, eine Organisation, die der Arbeiterklasse zu besseren Rechten verhelfen wollte und sich deshalb mit staats-kapitalistischen Machtballungen anlegte. Allerdings ging es nicht lange, und die Erste Internationale war nicht weniger autoritär als ihre angebliche Gegnerschaft. Obwohl sie vorgab, die Interessen all der vielen Werktätigen zu vertreten, behandelte sie diese als amorphe Masse, die es dezidiert zu führen gelte. Nicht zufällig gab sich die Internationale eine straffe Struktur mit einem führungsstarken „Generalrat“ an der Spitze. Dies entsprach auch dem politischen Programm der Internationalen, nachzulesen im berühmten kommunistischen Manifest: Da steht nichts von einer sofortigen Befreiung der Arbeiterschaft, dafür umso mehr von der Errichtung eines möglichst starken sozialistischen Staates, der dann mit Gewalt für eine bessere Welt sorgen werde. Dazu passte auch das schon bald verordnete Kampflied „Die Internationale“ mit dem Zweck, die Massen in einen kämpferischen Kollektivrausch zu versetzen, wie früher schon die Marseillaise und später dann das Horst Wessel-Lied. Leithammel der autoritären Struktur war Karl Marx mit finanzieller und schriftstellerischer Unterstützung seines Trabanten Friedrich Engels.
Daran hatten nun aber diejenigen keine Freude, denen es um wirkliche Befreiung ging, die den bürgerlichen Staat nicht einfach durch einen sozialistischen Staat ersetzen, sondern Staatlichkeit überhaupt überwinden wollten – Anarchisten eben, zu denen auch jene selbstbewussten Uhrmacher im schweizerischen Jura gehörten. Diesen ging es nicht darum, in spektakulären Freiheitskriegen unter marxistischem Kommando Soldatendienst zu leisten, sondern das zu tun, was Befreiung ausmacht, nämlich jeden einzelnen seine eigene Freiheit in die eigenen Hände nehmen zu lassen. Beruflich bedeutete dies, sich im Sinn des Wortes selbständig zu machen, sei es im Kleinen als Einzelunternehmer, sei es im Grösseren als Mitglied eines freiwilligen Zusammenschlusses zur gegenseitigen Selbsthilfe. Konsequenterweise schlugen sie vor, es soll doch jede Sektion der grossen Internationalen ihre Vorgehensweise selbst festlegen können. Marx und Engels lehnten dies nicht nur ab, sondern schlossen diese lästigen „Mutualisten“ kurzerhand aus der Internationalen aus.
Das war dann der Anlass zur Gründung der erwähnten Antiautoritären Internationalen. Im Nachhinein hat man diese anarchistische Bewegung auch „libertären Sozialismus“ genannt. Und in der Tat passte sie nicht schlecht zu dem, was man viel später aus den USA kommend als libertär bezeichnete, nämlich eine beim natürlichen Selbst des Individuums anknüpfende Freiheitlichkeit. Mit Sozialismus allerdings hatte dies nichts zu tun.
Soweit jene Uhrmacher im schweizerischen Jura vor 150 Jahren gemeint haben, nebst Anarchisten auch noch Sozialisten zu sein, war das schlicht ein Irrtum.
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