Der Staat – ein Irrtum der Verhaltensevolution

David Dürr – eigentümlich frei / September 2021



Wie kommt es nur, dass die ganze Welt von diesem verheerenden Virus befallen ist, der alles lahmlegt, der gigantische ökonomische, psychische und körperliche Schäden anrichtet und die Menschen zu untertänigen Teilchen in einem immer mächtigeren Räderwerk degradiert! Gemeint ist nicht das eher harmlose Virus C, sondern das wahrlich tödliche Virus Staat.

Ja, tödlich ist es in der Tat, Millionen hat es in Kriegen und Vernichtungslagern dahingerafft, mit Kollektivierungsstrategien verhungern lassen, mit Unterwerfungsritualen in den Selbstmord getrieben. Und weit verbreitet ist es ebenfalls. Der ganze Erdball ist mittlerweile von Staaten befallen, etwa 200 sind es an der Zahl, lückenlos Grenze an Grenze aneinanderstossend. Kaum ein Flecken Land ist seuchenfrei. Wer einem Staat entfliehen will, landet unweigerlich in einem nächsten.

Unheimlich ist auch, wie schnell sich dieses Virus ausbreitet. Eben noch war es so gut wie unbekannt. Noch kaum fünftausend Jahre sind es her, als erste Symptome in Mesopotamien auftraten in Form der Stadtstaaten Ur, Uruk, später Ninive, dann Assur, Babylon oder das ägyptische Reich, etwa zeitgleich in den Anden der Stadtstaat Caral, um bloss einige bekannte frühhistorische Namen zu nennen. Sie hinterliessen zwar eindrückliche kulturelle Zeugnisse wie Tempel, Burgen, Türme und Paläste, auch erste Schriften stammen aus dieser Epoche. Weniger edel waren aber ihre Sozialstrukturen mit jeweils mächtigen Führungsclans, die staatsintern die Menschen zu Sklaven machten und staatsextern als brutale Kriegsherren agierten. Der Soziologe Franz Oppenheimer traf es recht genau mit seiner berühmten Theorie, wonach die Emergenz von Staaten nie etwas anderes war als gewaltsame Eroberung, Unterwerfung und Herrschaftssicherung. 

Doch wie kam es damals plötzlich und etwa gleichzeitig an verschiedenen Orten zu diesen krankhaften Sozialstrukturen? Erstaunlich ist dies vor allem deshalb, weil der bis dahin entwickelte Mensch für solche Machtballungen gar nicht geeignet war. Die Evolution hatte ihm nämlich mit ihrer bewährten Art von Versuch und Irrtum eine spezifische Steuerungstechnik von selbstbewusster individueller Subjektivität mitgegeben. Diese verschaffte ihm nicht nur die Fähigkeit, sich intelligent mit der Welt zu befassen, Erfahrungen zu sammeln, aus diesen zu lernen, präventive Strategien zu entwickeln, die Zukunft zu planen und viele weitere typisch menschliche Fähigkeiten einzusetzen, sondern sie wirkte auch als glühend loyaler Pate. Das heisst ein jeder Mensch trägt mit seiner individuellen Subjektivität eine Instanz in sich, die ihn steuert, für ihn entscheidet, für ihn handelt und seine Interessen durch dick und dünn verteidigt. Damit verträgt es sich schlecht, wenn jemand anders als das eigene Ich die Entscheidungs- und Handlungskompetenz übernehmen will.

Dies umso mehr, als diese individuelle Subjektivität auf eine Evolution von mindestens 70 Millionen Jahren zurückblickt. Vermutlich spielte sie schon bei unseren damaligen Ur-Ur-Vorfahren, sogenannten Primatomorphen (= Primaten-förmigen), mit ausgeprägt eigenständigen Handlungsweisen der einzelnen Individuen eine Rolle. Und offensichtlich wurde dieser schon früh auftretende individualistische Versuch der Evolution zur Grundlage einer anhaltenden Erfolgsgeschichte, in deren Folge auch der Homo sapiens steht mit seinen bemerkenswerten technischen, wirtschaftlichen, kulturellen, geistigen und nicht zuletzt auch sozialen Errungenschaften. 

Dies ganz im Gegensatz zum kollektivistischen Versuch staatlicher Machtballung. Da hat sich die Verhaltensevolution für einmal ganz offensichtlich geirrt. Doch was sind schon fünftausend Jahre Irrtum gegen 70 Millionen Jahre Erfolg! Kleine Pannen zwischendurch gibt es immer mal wieder.


Zurück zu den Medien