Der Staat ist das Problem – Recht ist die Lösung
David Dürr - Junge Freiheit 2.11.2018
„Das Recht war schon da
Eine Welt ohne Staatsgewalten ist möglich“
Probleme, wohin das Auge reicht: Kriege allenthalben, zerstörte Städte, getötete Menschen, versprengte Familien, Hungersnöte, Flüchtlingsströme, unterdrückte Völker, Handelskriege, Atomschlagdrohungen, kollabierende Wirtschaften, frivole Geldschwemmen, Arbeitslosenängste, Korruption, Epidemien, Drogenkriege – welchen TV-Sender Sie sehen, welches Internet-Portal Sie anklicken, welche Zeitung Sie öffnen, nichts als Krieg, Tod, Krankheit, Hunger, Verzweiflung, Empörung, Gehässigkeit.
Und dies so gut wie überall, in allen rund zweihundert Staaten dieser Erde, im Osten und im Westen, in der ersten, zweiten und dritten Welt, in kapitalistischen und sozialistischen Systemen, in demokratischen, monarchistischen und totalitären Staaten – eine global unerfreuliche Sache, die menschliche Gesellschaft. Wird wohl diese traurige Spezies schon bald an Hunger, Armut, Repression, Terror und Gewalt zugrunde gehen?
Der Staat ist das Problem
Das Problem könnte aber auch darin liegen, dass all die rund zweihundert Staaten Staaten sind. Näheres Hinsehen zeigt nämlich, dass die geschilderten Probleme durchwegs mit Strukturen, Abläufen, Argumentarien und auch durchaus handfest mit Gerätschaften zu tun haben, die für Staaten typisch sind:
Das Kriegsgerät, das Städte zerstört, Menschen in Masse verletzt, verstümmelt und tötet, diese hochtechnisierten Kampfjets, Panzer, Drohnen, Lenkwaffen oder Gifteinsätze, werden typischerweise von Staaten eingesetzt. Niemand sonst kann und will derart viel Geld ausgeben, um etwas zu kaufen, dass nichts nützt, sondern nur zerstört. Der brutalste Mafia Boss wird seine Rechnung machen und zum Schluss kommen, dass das für ihn nicht profitabel ist. Edel mögen seine Motive überhaupt nicht sein, aber im Effekt bringen sie nie und nimmer das Zerstörungspotentzial der Staaten hervor. Weltkriege wurden bis anhin ausschliesslich von Staaten geführt.
Das Gleiche gilt für hochprofessionalisierte Repressionssysteme wie diejenigen der staatlichen Strafjustiz. Sie sind weitgehend zu Selbstzwecken entartet. Besonders intensiv kümmern sie sich um Delikte, die keine Opfer haben: Gegen Drogen werden international vernetzte Verfolgungskartelle geführt, die Milliarden kosten, Leid und Tod verbreiten und dazu führen, dass ein nicht weiter schlimmes Genussverhalten des Menschen in kriminelle und damit unappetitliche, grausame und oft tödliche Verelendung abdriftet.
Wo es aber wirkliche Opfer gibt, wo Leute tatsächlich verletzt oder betrogen werden, versanden Verfahren in behäbiger staatlicher Justizbürokratie. Und wenn es zwischendurch einmal tatsächlich zur Verurteilung eines Straftäters kommt, wird dieser auf Kosten der steuerzahlenden Opfer versorgt mit Essen, Unterkunft, Erbauungsprogrammen und fürsorglicher Therapie.
Überhaupt gefällt sich der Staat in seiner angeblich so einzigartigen Fürsorglichkeit. Deshalb werden die erwähnten Opfer staatlich geführter Kriege, die Flüchtlingsströme aus staatlich zerbombten Städten, dort, wo sie ankommen, mit staatlich organisierter Grosszügigkeit aufgenommen und betreut. Das lässt die Flüchtlingsströme zusätzlichen anschwellen, vor allem um Leute, die nicht aus Not, sondern aus Begehrlichkeit unterwegs sind. Das stört dann wieder die, die die Folgekosten ungefragt bezahlen müssen.
Staatstypisch sind auch flächendeckende Überwachungs-, Kontroll- und Durchsetzungsstrukturen, mit oft gigantischen Abhörsystemen, Datenaufbereitungskapazitäten im Tera-, Peta- bis Zeta-Bereich, die sich nur leistet, wessen Hauptzweck das Beherrschen von Untertanen ist. Und so suchen diese Instrumente eifrig nach Betätigungsfeldern und finden sie in allerlei Bedürfnissen, in zu verhindernden Klimaveränderungen, in schutzbedürftigen Wirtschaftszweigen und abzuwehrenden Terroristen. Kein Wunder, beginnen sich all diese Gefahren auch kräftig und handfest zu artikulieren.
Und schliesslich muss das alles finanziert sein, was der Staat dann wiederum auf seine Art tut, nämlich mit Steuern und mit aus dem Nichts produzierten Kredit- und Papiergeld. Genau besehen ist dies nichts als Diebstahl (die Steuer ist „voraussetzungslos geschuldet“), Raub (die Steuer wird notfalls mit staatlicher Gewalt durchgesetzt) und Betrug (das selbst gedruckte oder gutgeschriebene Geld verspricht, was es nie halten kann). Diebe, Räuber und Ponzis gibt es natürlich auch sonst, doch das Ausmass und die Professionalität der Staaten erreichen sie nicht ansatzweise.
Warum also die Organisationsstruktur des Staates nicht ein für allemal überwinden? Undenkbar ist dies schon deshalb nicht, weil das heute so selbstverständlich erscheinende Muster eines territorial monopolisierten Nationalstaates in der Menschheitsgeschichte noch relativ neu ist (westfälischer Friede 1648), sich ganz offensichtlich nicht bewährt hat (siehe oben) und deshalb nun eben einer besseren Lösung weichen müsste.
Nun werden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, möglicherweise denken, es brauche halt trotz allem den Staat als einen letzten und obersten Fixpunkt für Recht und Ordnung, sonst zerfalle die Gesellschaft in Chaos, Krieg und Unglück. Doch bedenken Sie, dass just Chaos, Krieg und Unglück – wie eben gezeigt – für die Staatenwelt so typisch sind und Anlass zu ihrer Hinterfragung geben. Und wenn Sie fürchten, dass es ohne Staat zu unerwünschten Machtmonopolen kommt, so bedenken Sie doch auch, dass genau dies ja das Problem des Staates ist. Also wagen Sie mit mir den Gedankengang in eine Welt ohne Staat aber gleichwohl mit Recht.
Staatliches Unrecht
Der Staat versteht es, seine so edel klingende Rechts- und Ordnungsfunktion in eine Blankorechtfertigungsfunktion für sein eigenes Tun zu pervertieren. Was immer er anrichtet, es kommt als Inbegriff von Recht daher. Steuern seien – um nochmals dieses Beispiel zu erwähnen – nicht bloss eine Schuld wie jede andere, sondern eine derart wichtige, dass es dem Staat als Gläubiger erlaubt sein müsse, sie mit gestohlenen Datenträgern, heimlichen Überwachungen und unverblümter Gewalt durchzusetzen. Anderen Gläubigern, z.B. einem Wohnungsvermieter, einem Autohändler oder einem Ferienanbieter, würde man solche Rechte gegenüber säumigen Schuldnern zu Recht nie eingestehen. Ganz abgesehen davon, dass der Schuldner des Wohnungsvermieters, des Autohändlers und des Ferienanbieters nur dann etwas zahlen muss, wenn er etwas bezogen hat; beim Staat wird nicht einmal dies verlangt.
Es sieht also ganz danach aus, dass die besonders hoch gehängte Rechtmässigkeit staatlichen Handelns bloss den Zweck hat, die besondere Unrechtmässigkeit desselben zu verschleiern. So erklärt sich, dass Staaten selbst Kriege schon als gerecht bezeichnet haben oder selbst so offensichtliche Unrechtmässigkeiten wie die nazistische Rassenpolitik als offiziell gültige „Reichgesetze“ erlassen und feierlich im Reichsblatt publiziert haben. Und letztlich macht auch der heutige sogenannte demokratische „Rechtsstaat“, nichts grundsätzlich anderes, indem er seine eigene Willkür sozusagen „vergesetzlicht“. Entgegen dem, was er behauptet, ist er in seinem Handeln nicht dem Gesetz unterstellt, sondern das Gesetz ihm. Er selbst bestimmt, was im Gesetz steht, von dem er behauptet, es sei ihm vorgegeben. So hat er keine Hemmung, die Rechtsordnung in zwei völlig getrennte Bereiche zu teilen:
Auf der einen Seite in das Recht für die Normalsterblichen, namentlich das Privat- und teilweise das Strafrecht. Hier finden sich natürliche Grundregeln des zwischenmenschlichen Verhaltens, die sich über viele Jahrhunderte, teilweise zurückgehend bis zum antiken römischen Recht, entwickelt haben; beispielsweise dass man andere nur dann zu etwas zwingen darf, wenn sie sich dazu verpflichtet oder wenn sie einen Schaden angerichtet haben.
Auf der anderen Seite in das wesentlich jüngere öffentliche Recht für den Staat selbst, in dem er sich von diesen bewährten Grundregeln ausnimmt und sich z.B. das bereits erwähnte voraussetzungslose Besteuerungsrecht einräumt; oder beispielsweise auch das alleinige Vorrecht zur Gewaltanwendung, was er den Privaten wiederum abspricht.
Geradezu zynisch erweisen sich die Unterschiede in den jeweiligen Verfahrensordnungen. Will ein Privater von einem anderen Privaten eine Leistung, die der andere bestreitet, darf er nicht einfach zur Durchsetzung schreiten, sondern muss den Fall zunächst einem unabhängigen Gericht unterbreiten. Und auch wenn er den Prozess gewinnt und der andere noch immer nicht bezahlt, muss er sich für eine notfalls gewaltsame Durchsetzung an eine neutrale Drittstelle wenden. – Ganz anders der Staat im öffentlichen Recht: Er kann sein Begehren ganz einfach mit „Verfügung“ überschreiben und schon ist es so gut wie gerichtlich bewilligt. Der Adressat kann zwar die Unterbreitung an ein Gericht verlangen, doch muss nun er die Initiative ergreifen, er muss den Prozess führen, er muss das Nichtbestehen seiner Schuld erstreiten, er muss den teuren Anwalt beiziehen, und er muss darauf bedacht sein, ja keine Frist zu verpassen; kommt er nur einen Tag zu spät, ist sein Abwehranspruch verwirkt.
Und die Pointe kommt erst: Der Richter, der den Streit zwischen ihm und dem Staat beurteilt, steht auf der Lohnliste des Staates! Die offizielle Rechtfertigung dieser offensichtlichen Perversion von richterlicher Unabhängigkeit lautet dann „Gewaltenteilung“. Doch stellen Sie sich vor, im Streit mit einer grossen Firma würde diese eigene Angestellten als Richter vorschlagen und dies dann damit rechtfertigen, die angestellten Richter seien betrieblich separiert. Gäbe es da einen Grund, nicht laut aufzulachen?
Natürliches Recht
Doch was ist nun die Alternative zum staatlichen „Recht“ beziehungsweise – wie eben gezeigt – Unrecht? Die Frage stellen heisst sie beantworten: Recht ist, was sich Unrecht entgegen stellt. Recht ist letztlich nicht etwas Positives, das in diese Welt hineingebracht werden müsste, sondern etwas Negatives, eine Abwehrreaktion, die bereits in dieser Welt eingebaut ist. „Unrecht soll umkehren!“ sagt ein altes Rechtssprichwort. „Neminem laedere – niemanden verletzen!“ lautet eine der wichtigsten römischrechtlichen Grundnormen. Und auch der uns vertraute Dekalog operiert negativ: „Du sollst nicht … töten, stehlen, betrügen, ehebrechen etc …“ (bloss das erste Gebot, nämlich an den einzigen Gott zu glauben, ist aus durchsichtigen gottestaatlichen Gründen positiv formuliert worden).
Oder nun ganz einfach: Jemanden umzubringen, ist nicht deshalb verboten, weil es im staatlichen Gesetzbuch steht. Sondern es kommt in staatliche Gesetzbücher zu stehen, weil es verboten ist. Und Gleiches gilt für körperliche und seelische Verletzungen, für Diebstahl und Betrug und für weitere Verhaltensweisen, welche natürlicherweise abwehrende oder strafende Reaktionen hervorrufen; vergleichbar mit dem physikalischen Wechselwirkungsprinzip von „actio gleich reactio“, bei dem ja auch niemand auf die absurde Idee käme, es offiziell vorzuschreiben.
Auch die Art und Weise, in der solche Abwehrreaktionen ablaufen, ergeben sich natürlicherweise und entwickeln sich im Kontext zivilisatorischer Evolution. Aus kruder Rache entwickeln sich differenzierte und effiziente Konflikterledigungsverfahren. Auch solche Regelungen gelten nicht deshalb, weil eine staatliche Prozessordnung sie vorschreibt, sondern weil das der Art und Weise entspricht, wie eine zivilisierte Gesellschaft mit Konflikten umgeht. Überantwortet man es aber einem Rechts- und Gewaltmonopolisten, so kommt das heraus, was uns vorstehend Anlass gegeben hat, über Alternativen nachzudenken.