Gewaltenteilung vom Feinsten in Israel
David Dürr – eigentümlich frei / September 2023
In Israel findet gerade so etwas wie ein landesweites Staatsrechts-Seminar statt. Nicht nur in politischen Gremien, akademischen Tagungen und öffentlichen Medien, auch in riesigen Menschenansammlungen auf Straßen und Plätzen wird über Rechtsstaat und Gewaltenteilung debattiert.
Anlass zur Aufregung ist der Umstand, dass Legislative, Exekutive und Judikative für einmal nicht unter einer Decke stecken, sondern sich in den Haaren liegen. Doch ist das ja gar nicht schlimm, die Aufteilung der Staatsmacht auf verschiedene Gewalten hat doch gerade zum Zweck, kollidierende Interessen gegeneinander auszutragen. Wären Staatsführung, Gesetzgebung und Justiz in der gleichen Hand, wie einst bei der Inquisition der katholischen Kirche, wäre das ein gröberes Machtballungs-Problem. Was kann einem Land denn Besseres passieren, als dass sich die verschiedenen Staatsgewalten gegenseitig auf die Finger schauen!
Begonnen hat diese ganze Staatsrechts-Debatte damit, dass die Exekutive (die gerade amtierende israelische Regierung) sich von der Judikative (dem obersten Gericht und der zugehörigen Staatsanwaltschaft) ausgebremst fühlt. Regierungen reagieren ja meist gereizt, wenn ein Gericht sie zu bremsen versucht. Je nach politischer Kultur befleißigen sich dann die Richter, der Regierung zu dienen (etwa in Deutschland) oder es werden lästige Richter in Rente geschickt (etwa in Polen) oder es sucht die Regierung Unterstützung bei der Legislative – wie nun eben in Israel.
Damit wird die Legislative, in Israel die sogenannte Knesset, plötzlich so etwas wie ein Schiedsgericht. Allerdings ein parteiisches; denn zumindest ein Teil der Parlamentarier besteht aus Parteifreunden der Regierungskoalition. Der Konflikt zwischen Regierung und Gericht wird in der Knesset deshalb nicht danach entschieden, wer von den beiden Streitparteien im Recht ist, sondern wer im Parlament mehr Freunde hat. Und weil es jetzt in Israel gerade die Exekutive ist, die mehr Freunde in der Legislative hat, erlässt diese mit Mehrheitsbeschluss ein Gesetz, in dem es heißt, dass das Gericht die Regierung nicht mehr bremsen darf; zumindest soll sie sich nicht in Details der Regierungsarbeit einmischen und darüber urteilen, ob diese „vernünftig“ oder „verhältnismässig“ sei.
An diesem Gesetz wiederum hat die Judikative keine Freude. Also wehrt sie sich mit den Waffen, die sie als Judikative hat, mit den Waffen eines Urteils: Sie beurteilt das neue Gesetz als rechtlich unzulässig; es verstoße gegen die zwar ungeschriebene, aber gleichwohl gültige Staatsverfassung, und sei deshalb gar nicht gültig. Also könne das Gericht nicht gültig daran gehindert werden, die Regierungsarbeit zu überprüfen und Unvernünftiges beziehungsweise Unverhältnismäßiges zu verbieten. Kurzum, die Judikative lässt sich von der Legislative nicht darin bremsen, die Exekutive zu bremsen – ein ausgebremstes Ausbremsmanöver!
Es soll in Israel Leute geben, die angesichts dieser festgefahrenen politischen Situation das Land für immer verlassen wollen. – Aber warum denn? Das ist doch Gewaltenteilung vom Feinsten! Da schauen sich die verschiedenen Staatsgewalten nicht einfach höflich auf die Finger, um sich schon bald wieder zusammenzuraufen und mit vereinten Kräften ihre Untertanen zu knechten. Nein, hier bekämpfen, ja blockieren sich die Staatsgewalten gegenseitig und wünschen sich gegenseitig ins Pfefferland.
Nur zu! Umso ungestörter können sich die Untertanen um das kümmern, was ihnen zusteht: Um die eigene Suche nach ihrem eigenen Glück.
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