Der Index der Unfreiheit



David Dürr – eigentümlich frei / Juli-August 2023

Weshalb Staaten schlecht und schlechter, nicht gut und besser sind


Alle Jahre wieder publizieren das amerikanische Cato-Institut und das kanadische Fraser Institut, zwei liberale Think Tanks, den Human Freedom Index. Unterstützend wirkt auch die deutsche Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit. In diesem Index wird nach einem präzisen Raster die persönliche und die wirtschaftliche Freiheit der Menschen nach Ländern gemessen, ausgewertet und in einer Skala zwischen 0 (schlecht) und 10 (gut) eingeordnet. Erfasst sind etwa 80% aller Länder, im neusten Index 2022 sind es 165. Der Freiheitsdurchschnitt liegt aktuell bei 6,81 Punkten. In früheren Jahren war er höher, hatte aber schon immer einen Abwärtstrend, der sich mit Corona noch massiv verstärkte.

Deutschland liegt mit 8,33 Punkten auf Rang 18, am Ende der Skala figuriert Syrien mit 3,30 Punkten auf Rang 165. Davon ausgehend, dass einige nicht erfasste Länder wie beispielsweise Nordkorea, Turkmenistan oder Usbekistan eher am schlechteren Freiheitsende liegen, schafft es Deutschland immerhin noch in die Top 10%. Und wenn man bedenkt, dass sogar die Schweiz mit Rang 1 gar nicht viel mehr Punkte hat, nämlich 8,94, kann sich Deutschland stolz zur kompakten allerobersten Freiheitsliga zählen.

Wenn da nur nicht ein Problem mit dieser Skala wäre! Sie beginnt nämlich mit Null und steigt dann ins Positive. Damit erhält ein noch so repressives Regime schon dann einige Pluspunkte, wenn zum Beispiel die Videoüberwachungen „nur“ den gesamten öffentlichen Raum und nicht auch private Wohnräume erfassen; oder wenn ein Staat „nur“ drei Viertel des privaten Erwerbseinkommens wegbesteuert, und es nicht gleich ganz enteignet. Die Skala geht also davon aus, Freiheit sei etwas Positives, das einem gegeben werde, sei es weniger, sei es mehr: In Syrien mit nur 3,30 Punkten ganz wenig, in Mexiko mit 6,60 Punkten immerhin doppelt so viel und in Deutschland mit 8,33 Punkten (übrigens punktegleich mit der Tschechei) oder in der Schweiz mit 8,94 Punkten nochmals kräftig etwas obendrauf. Das stösst dann schon fast an die Decke, die aus irgendeinem Grund bei 10 erreicht sein soll.

Indes, Freiheit wird einem nicht gegeben, Freiheit nimmt man sich, sonst wäre es nicht Freiheit! Unfrei ist man nicht, wenn man keine Freiheit bekommt, sondern wenn sie einem weggenommen wird. Die Skala sollte nicht im Positiven, sondern umgekehrt im Negativen verlaufen, beginnend mit Null, wo jede Freiheitsbeschränkung fehlt. Das wäre ein Zustand, wo jeder das tun und lassen kann, was er will; mit Ausnahme einzig davon, was er nicht will, dass man es ihm tu – nach der goldenen Regel der Bergpredigt, der kantischen Aufklärung oder des staatsfreien Privatrechts. Jede weitergehende Einschränkung verschiebt die Kurve ins Minus, etwa mit einer geringfügigen Besteuerung weniger, mit einer höheren mehr. Damit würde klar, dass die Schweiz und Deutschland hinsichtlich Freiheit nicht etwa besser dastehen als Mexiko oder Syrien, sondern bloss weniger schlecht; und dass weder Deutschland noch die Schweiz Grund haben, sich als oberste Freiheitsliga zu preisen, sondern bloss sich als moderate Freiheitsbeschränker etwas weniger zu schämen.

Und ein weiterer, bei uns verbreiteter Irrtum liesse sich mit einem solchen Index der Unfreiheit beseitigen: Wir hier im Westen stehen nicht auf der Seite der Freiheit im Gegensatz zu gewissen arabischen oder asiatischen Ländern auf der Seite der Unfreiheit. Solange sich alle Länder dieser Welt als Staaten organisieren, stehen sie alle auf der gleichen Seite der Unfreiheit, mit rein graduellen Abstufungen zwischen Deutschland, der Schweiz, Syrien oder Nordkorea.


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