Mein EU-Gutachten
David Dürr - Basler Zeitung 30.08.2013
Verschiedentlich wurde ich in den letzten Tagen auf das „Gutachten von Professor Dürr“ angesprochen, von dem Nationalrat Blocher in der kürzlichen Jubiläums-Arena sprach. Es ging dabei um ein Gutachten, das der Bundesrat zur Abklärung verschiedener Vorgehensoptionen der Schweiz gegenüber der EU in Auftrag gegeben hatte. Ich musste dann jeweils abwinken. Ein solches Gutachten habe ich nie erstellt. Das war offensichtlich ein Versprecher. Herr Blocher meinte wahrscheinlich das Gutachten von Prof. Thürer, einem ausgewiesenen Völkerrechtsspezialisten, dem ich fachlich nicht annähernd das Wasser reichen kann. Der Bundesrat wäre jedenfalls schlecht beraten gewesen, den Gutachterauftrag nicht ihm, sondern mir zu geben. Da wäre bloss laienhafter Unsinn herausgekommen.
Beispielsweise hätte ich geschrieben, man dürfe das Bonitätsrisiko des Verhandlungspartners EU nicht übersehen. Von meiner Tätigkeit als biederer Wirtschaftsanwalt weiss ich, dass der schönste Vertrag nichts nützt, wenn das Gegenüber Finanzprobleme hat. Es kann früher oder später seine Verpflichtungen nicht erfüllen, oder es wird in anderer Hinsicht von seinen Sachzwängen geleitet: Beispielsweise ein Vertragspartner in Sachen internationaler Zinsbesteuerung wird sich anders verhalten, wenn ihm das Wasser am Hals steht. Die in letzter Zeit von der EU und von EU-Staaten in Sachen Steuerabkommen vorgetragene Aggressivität lässt sich bestimmt auch mit schierer Panik vor dem eigenen Konkurs erklären. Oder etwa ein Vertragspartner in Sachen Forschungszusammenarbeit, der so hochtrabende Projekte wie die EU, aber auch so grosse Finanzprobleme hat, erhofft sich aus Partnerschaften wohl eher Deckungs- als Forschungsbeiträge. Soll man denn wirklich mit einem solchen Partner über eine Verstärkung der gegenseitigen institutionellen Bande verhandeln? Ich hätte da zumindest empfohlen, vorweg einen Finanzierungsnachweis zu verlangen. Das hat sich schon oft bewährt.
Vielleicht hätte ich in meinem unbedarften Gutachten noch angefügt, dass die (auch) finanziellen Schwächen der EU nicht zufällig seien, sondern mit ihrer Struktur zusammenhängen. Ein Gebilde, das zwar von Freihandel spricht, aber gleichzeitig Sozial-, Umwelt-, Sicherheits-etc.-Regulierungen en masse produziert, das seine bequemeren Mitglieder belohnt und die Tüchtigeren bestraft, das den Steuerwettbewerb zwischen seinen Mitgliedern behindert, und bei all dem Demokratie ziemlich klein schreibt, das könne ja auf die Länge nicht aufgehen.
Und zu guter Letzt wäre ich sogar noch auf die Idee gekommen, in mein Gutachten hinein zu schreiben, dass all diese grundsätzlichen Strukturprobleme der EU genau gleich auch bei unserem Bundesstaat bestehen. Meine Schlussempfehlung hätte dann nicht nur gelautet, auf eine Verstärkung der institutionellen EU-Beziehungen zu verzichten, sondern am besten auch gleich die Schweizerische Eidgenossenschaft aufzugeben. Diese überzieht nämlich unser Land nur mit bürokratischen Regulierungen, organisiert einen schädlichen Finanzausgleich, behindert den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen und hat – wie ich schon in meinen Kolumnen „Das grosse Einmaleins“ vorgerechnet habe – mit Demokratie rein gar nichts zu tun.
Aber wie gesagt: Bei mir hat der Bundesrat ja kein Gutachten in Auftrag gegeben.