200 Jahre Bakunin
David Dürr - Basler Zeitung 30.05.2014
Heute vor 200 Jahren, am 30. Mai 1814, kam Michail Alexandrowitsch Bakunin in Russland zur Welt. Dass er zum Vorkämpfer der Anarchie werden sollte, zeichnete sich früh ab. Schon als junger Mann hatte er Mühe mit Gehorsam, weshalb er seinen Militärdienst vorzeitig quittierte und sich in die damals hoch politische deutsche Philosophie zu vertiefen begann. Die französische Revolution hatte Europa soeben in Schwingung versetzt, revolutionäre Bewegungen keimten auch in anderen Ländern auf, das Ancien Régime war herausgefordert und reagierte nicht selten brutal.
In Preussen versuchte es der Philosoph Hegel mit einer Definition des Staates, die es diesem erlauben sollte, sich vom alten ins neue Regime hinüber zu retten. Der Kniff bestand darin, den Staat nicht mehr mit der traditionellen Monarchie gleichzusetzen (auch wenn dies Hegel am liebsten gewesen wäre), sondern ihm eine abstraktere Legitimation anzudichten. O-Ton Hegel: „Der Staat hat zu seinem Zweck überhaupt das Sittliche. Er ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee, die zugleich zur vollkommenen Ausbildung ihrer Form gekommen ist. Der Staat ist der sittliche Geist als sich wissend.“
Bakunin überzeugten solche Schwülstigkeiten nicht. Je mehr er sich mit empörenden Verhältnissenseiner Zeit befasste, desto klarer wurde ihm, dass der Staat nicht die Lösung, sondern – wenn schon – das Problem war. Mochte man noch Monarchen beseitigen oder das neu aufkommende Wirtschaftsbürgertum enteignen, solange die Machtstruktur des hegelschen Monopolstaates da war, half alles nichts. Welcher Politik sich dieser Staat auch immer verschrieb, und war es auch das von Bakunin so sehnlich herbeigewünschte sozialistische Modell, sie musste unausweichlich zum totalitärem Zwangssystem verkommen.
Das brachte Bakunin in Konflikt mit dem damaligen Hochadel des internationalen Kommunismus, prominent mit Karl Marx. Diesem kam die hegelsche Staatsdefinition nämlich sehr zu pass. Denn sie verschaffte ihm das Argument, auch dann auf den Staat zurückzugreifen, wenn es um das Fernziel der klassenlosen Gesellschaft ging. Wenn das Ziel einmal erreicht sei, werde man den Staat zwar nicht mehr benötigen. Doch vorübergehend sei er nicht nur nützlich, sondern auch philosophisch legitimiert. Und weil das edle Ziel die Mittel heilige, dürfe der Staat auch gerne totalitär gegen seine Feinde vorgehen. Dazu passten auch die Methoden, mit denen sich Marx seiner Gegner in der sozialismusinternen Debatte entledigte. Bakunin etwa bezichtigte er nicht bloss der Schwärmerei, sondern verleumdete ihn der Spionage für den gemeinsamen Gegner, den zaristischen Geheimdienst.
Bakunin hat diesen aufreibenden Zweifrontenkrieg – extern gegen totalitäre Fürstenregimes, intern gegen totalitäre Staatssozialisten – verloren. Sein Leben war gestresst und politisch erfolglos. Ja schlimmer noch, seine beiden Gegner haben sich schon bald miteinander verbandelt und sind inzwischen zum weltweit dominierenden Grundmuster des monopolistischen Sozialstaats geworden. Bakunin verbleibt heute nicht mehr, als sich genervt in seinem gepflegten Grab im Bremgartenfriedhofin Bern zu drehen. Immerhin erinnert dies uns daran, dass das Ancien Régime dank Hegel, Marx & Co noch immer und mehr denn je unsere Gesellschaft bestimmt – dass seine Überwindung also noch zu tun wäre.