Das Christkind und der Kaiser
David Dürr - Basler Zeitung 27.12.2013
Am Heiligen Abend bei der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums waren Sie vielleicht einmal mehr erstaunt darüber, dass die Erzählung nicht gleich mit Maria, Josef und dem Christkind beginnt, sondern so: „In jenen Tagen geschah es, dass vom Kaiser Augustus ein Befehl ausging, dass der gesamte Erdkreis aufgezeichnet werde. Diese erste Aufzeichnung geschah, als Quirinius Statthalter von Syrien war. Alle gingen hin, sich eintragen zu lassen, ein jeder in seine Stadt“ (Lukas 2, 1-3).“ Was ist bloss der Grund, haben Sie sich vielleicht gefragt, dass diese präzise Einordnung in den Kontext des damals allmächtigen Weltreichs so prominent am Anfang der christlichen Heilsgeschichte steht?
Und es kommt gleich nochmals ein auffälliger Einschub: „Auch Joseph zog von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heisst, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war“ (Lukas 2,4). Also nochmals ein Bezug zu einem weltlichen Reich, demjenigen des Königs David. Zwar lange nicht so mächtig wie das römische Reich, für die Juden aber von grösster Wichtigkeit. Denn David hatte in mythologischen Urzeiten aus verschiedenen untereinander zerstrittenen Stämmen ein einheitliches und starkes Königreich geschaffen.
Und dies nicht nur mit Geschick und Brutalität, sondern vor allem mit einem Kniff, der damals so neu wie genial war, nämlich mit der Berufung auf den Gott Jahwe. Neu daran war nicht das Anrufen eines Gottes – das machten alle anderen Stammesfürsten auch. Jeder berief sich auf seinen Gott und behauptete natürlich, der seine sei der stärkste und beste von allen. Neu beim Gott Jahwe war, dass er nicht einfach der Gott Davids und nicht einfach der stärkste und beste aller Götter war, sondern dass er der einzige Gott überhaupt war. Heute spricht man von der monotheistischen Wende, die sich wahrscheinlich zwischen 1000 und 500 v.Chr. abgespielt hat. Und politisch war sie ausgesprochen nützlich, als Legitimationsmonopol für das Machtmonopol des Königs.
Als Israel dann aber von Rom erobert und in die Reichsprovinz Syrien erniedrigt wurde, musste das göttliche Legitimationsmonopol einen neuen Anwendungsfall suchen. Den fand es nahtlos im aufstrebenden römischen Weltreich. Offizielle Reichsreligion wurde der jüdisch-christliche Monotheismus zwar erst viel später, aber die innere Verwandtschaft zwischen Legitimationsmonopol aus dem Jenseits und Machtmonopol im Diesseits war von allem Anfang an offensichtlich.
Das führt uns zurück zum Evangelisten Lukas, der das genau erkannte und auch gar nichts dagegen einzuwenden hatte. Er soll, so sagt man, für das neue Weltreich Sympathien gehabt haben. Also schrieb er nicht einfach eine schöne Weihnachtsgeschichte, sondern die Geschichte des mächtigen
Kaisers mit seinem riesigen Reich, in das hinein nun Gott als kleines Kind geboren, als Personalie erfasst und damit sogleich zum Reichsbürger wird. Das gute Christkind und der mächtige Kaiser, die gehören zusammen. Zentral administrierte Staatsmacht ist etwas zutiefst Gutes.
So was glaubten die Leute damals noch – damals?