Grundlos geschuldet
David Dürr - Basler Zeitung 26.04.2013
Wer Schaden anrichtet, schuldet Ersatz. Wer ein Auto kauft, schuldet den Kaufpreis. Wer Kinder auf die Welt stellt, schuldet ihnen Sorge und Unterhalt. Etwas schulden tut man nicht einfach so, sondern nur mit Grund. Voraussetzungslos schuldet man nichts.
Nun haben aber findige Juristen aus der Fachdisziplin des sogenannten Verwaltungsrechts einen Begriff erfunden, der würdig ist, in die ewige Hitliste der Unwörter aufgenommen zu werden, nämlich „die voraussetzungslos geschuldete Abgabe“. Genau so definieren sie die vom Staat erhobene Steuer. Diese zeichne sich dadurch aus, dass sie – ja Sie lesen recht – voraussetzungslos geschuldet sei; also unabhängig davon, ob man einen Schaden angerichtet hat, ob man etwas gekauft oder in anderer Weise Verantwortung übernommen hat. Steuern schulde man definitionsgemäss einfach so. Grundlos.
Der einzige „Grund“ zur Bezahlung der Steuer liegt also darin, dass man das Geld hat, um sie zu zahlen. Kein Wunder, hält sich die Begeisterung der Steuerzahler in immer engeren Grenzen. Mir kommt dabei jene hübsche Anekdote aus dem Schatzkästlein von Johann Peter Hebel in den Sinn, die so kompakt ist, dass sie sich ungekürzt in einer BAZ-Kolumne zitieren lässt:
„Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde ihm unterwegs öd im Magen, und liess sich in einem gemeinen Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drei gesottene Eier geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirt dafür 300 Livres. Der Fürst fragte, ob denn hier die Eier so rar seien. Der Wirt lächelte und sagte: “Nein, die Eier nicht, aber die grossen Herren, die so etwas dafür bezahlen können.” Der Fürst lächelte auch und gab das Geld, und das war gut.
Als aber der damalige König von Frankreich von der Sache hörte (es wurde ihm als ein Spass erzählt), nahm er’s sehr übel, dass ein Wirt in seinem Reich sich unterstand, solche unverschämte Überforderungen zu machen, und sagte dem Fürsten: “Wenn Sie auf ihrer Rückreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, dass Gerechtigkeit in meinem Lande herrscht.” Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber die Türen und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut.“
Das war weder Kaufpreis noch Schadenersatz, was der reiche Gast zu zahlen hatte, das war nichts anderes als eine voraussetzungslos geschuldete Abgabe. Nun sagen Sie natürlich zurecht, der französische König, der da interveniert und den diebischen Wirt bestraft, sei grad der rechte; er, der wohl selbst keine Hemmungen kennt, voraussetzungslos geschuldete Abgaben zu vereinnahmen, und dies in tausendfach grösserem Ausmass als der kleine Ganove. Zurecht zwar legt er diesem das diebische Handwerk – Schade nur, dass er sich selbst die gleiche Unverfrorenheit in viel grösserem Ausmass gönnt. Wasser predigen und Wein trinken.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Zurecht zwar interveniert unser Staat, wenn einer dem anderen einfach deswegen Geld stiehlt, weil dieser solches hat – Schade nur, dass er sich selbst die gleiche Unverfrorenheit in viel grösserem Ausmass gönnt, indem er nimmt, was es hat, Vermögen, Einkommen, Waren- und Dienstleistungsumsätze, einfach so – voraussetzungslos.