La Grande Terreur
David Dürr - Basler Zeitung 20.11.2015
Ein bemerkenswerter Zynismus, mit dem die französische Regierung aus den IS-Anschlägen von Paris für sich selbst Kapital schlägt. Wie sie das Entsetzen und die Wut der Bevölkerung dazu missbraucht, ihre Macht noch weiter auszubauen, zivile Rechte noch weiter einzuschränken und sich bei all dem noch als Retter der Nation aufzuspielen. Dabei hat sie das Ganze angezettelt. Sie war es, die längst vor den Attentaten von Paris in völkerrechtlich umstrittener Weise IS-Gebiete in Syrien bombardierte. Damit hat sie nicht nur gewaltiges Leid auf die dortige Zivilbevölkerung gebracht, sondern vor allem auch mutwillig ihre eigene Zivilbevölkerung dem Risiko terroristischer Racheakte ausgesetzt.
Statt nun zerknirscht dieser selbst in Gang gesetzten oder zumindest mitgedrehten Gewaltspirale abzuschwören, treibt die Staatsführung den Krieg nur umso mehr an. In bewährter Manier grossstaatlicher Propaganda inszeniert sie so beklemmende Auftritte wie jenen vom letzten Montag im Prunksaal von Versailles, als der Staatspräsident vor vollständig versammelter Politprominenz zum global geeinten Kreuzzug gegen das Böse aufrief. Sogar mit so zweifelhaften Potentaten wie mit Putin müsse man nun zusammengehen. Ein flammender Aufruf zum weltweit geführten Krieg gegen den weltweit gemeinsamen Feind unter weltweit geeinter Führung. So quasi die Proklamation des kriegführenden Weltstaats.
Dann sangen noch alle im Saal die Marseillaise, dieses von Blut, Boden und Rache triefende Schlachtenlied mit seinem immer und immer wieder im Gleichschritt marschierenden Refrain. Entstanden ist die Marseillaise übrigens während der französischen Revolution. Nicht zufällig in einer Phase, als die Revolutionsführung mit externen Kriegen von internen Problemen ablenken wollte, mangels Erfolgs dann aber bald in die interne Schreckensherrschaft, die „Grande Terreur“, verfiel und unerbittlich Jagd auf innere Feinde machte.
Und so nun auch hier. So quasi beim Singen der Marseillaise lässt der Staatspräsident ein paar Kampfjet-Einsätze gegen IS-Stellungen fliegen (die zwar längst geräumt sind) und den imposanten (aber wartungsintensiven) Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ aus dem Trockendeck holen. Beides technisch nutzlos und teuer, aber für die Kampfmoral des grossen Heeres motivierend.
Und wie damals folgt nun auch hier sogleich die „Grande Terreur“ nach innen. War sie damals noch national, ist sie heute global. War es damals der berüchtigte Wohlfahrtsausschuss mit seinen 25 Mitgliedern, der für die rigorose Durchsetzung des neuen Regimes besorgt war, ist dies heute das Machtkartell der G-20. Waren die angeblichen inneren Feinde damals verstockte Anhänger des Ancien Regimes, sollen es heute verantwortungslose, auf ihren eigenen Vorteil bedachte Individualisten sein. Entsprechend hat der neuste G 20-Gipfel nicht nur den global geeinten Waffengang bekräftigt, sondern vor allem die interne Durchsetzung im globalen Haus verschärft: Flächendeckende Überwachung und spontaner Informationsaustausch zwischen den nationalen Lokalbehörden dieses durchorganisierten Weltstaates. Erbarmungslose Verfolgung, Bestrafung und Enteignung all jener, die nicht unaufgefordert ihr gesamtes Vermögen vor der Obrigkeit ausbreiten und möglichst grosse Teile davon abliefern. Denn dieser Krieg, zumal ein Weltkrieg, wird ziemlich teuer.