Heute kommt St. Nikolaus
David Dürr - Basler Zeitung 06.12.2013
St. Nikolaus, der gute und gerechte, der sanfte und strenge, und vor allem der heilige, den alle als Schutzpatron für ihre Zunft reklamieren, die Kaufleute, Apotheker und Huren, die Reisenden und die Sesshaften, die Alten und die Kinder. Doch am meisten und am treffendsten – die Etatisten.
St. Nikolaus hat nämlich ein grosses dickes Himmelsbuch, in dem alles steht, was alle Kinderlein das ganze Jahr hindurch gemacht haben. Er und seine vielen hilfreichen Engelein spähen und lauschen Tag ein Tag aus in allen Kinderzimmern, auf allen Computern, an allen Telefonen und vor allem in allen Bankkonten, um es dann fein säuberlich ins dicke Himmelsbuch zu schreiben. Immer einmal im Jahr – heute am 6. Dezember – nimmt St. Nikolaus das dicke Himmelsbuch in die Hand, geht hinab zu den vielen Kinderlein, liest ihnen vor, was er über sie alles weiss und rechnet ab.
Da ist es gut, zu den Guten zu gehören, das ganze Jahr hindurch alle Vorschriften eingehalten zu haben, nie bei Rot über die Strasse gegangen zu sein, immer beim Velofahren, noch besser beim Dreiradfahren einen Helm getragen zu haben, keine unanständigen Witze erzählt, keinen Atomstrom benützt und nicht geraucht zu haben, nicht ins Kino für Erwachsene gegangen zu sein, nichts ohne offizielle Bewilligung unternommen oder am allerbesten überhaupt nie etwas gemacht zu haben. Dann wird man reichlich belohnt, dann wird der liebe St. Nikolaus seinen grossen Sack öffnen und die vielen reichen Gaben über all diese Guten ausleeren. So wie es gerade kommt, eine grosse Giesskanne des Glücks.
Doch wehe, man gehört zu den Bösen, zu denen, die etwas von sich aus und ohne jede Bewilligung gemacht oder irgendwelche sonstigen Unartigkeiten begangen haben. Für sie nimmt St. Nikolaus seine Rute hervor, gespickt mit stachligen Bussen, Auflagen, Verboten, Maulkörben, Blossstellungen, Berufsverboten und vor allem Steuern. Dies speziell für jene, die im letzten Jahr so unanständig waren, Geld zu verdienen und Vermögen anzusparen. Die es dabei besonders arg getrieben haben, steckt er in seinen Sack und nimmt sie mit in den finsteren Schwarzwald, wo sie viele Monate im Jahr für St. Nikolaus arbeiten müssen. Und das, was sie dabei erwirtschaften, heimst er in seinen Sack, bringt es am nächsten St. Nikolaustag zu den Braven und schüttet es wieder grosszügig über diese aus.
Immer wenn St. Nikolaus kommt, ist das ein grosses Fest. Schon von ferne hört und sieht man ihn, mit seinem Glöcklein oder mit Militärparaden, in seinem roten Ornat mit Bischofshut, Hirtenstab oder Staatslimousinen, mit Knecht Ruprecht, Packesel oder Mappenträgern. Freudig kommen ihm die braven Kinderlein entgegen gerannt, zitieren auswendig gelernte Lobesverslein und singen hübsche Landeshymnen. Je weiter vorne sie zu stehen kommen, je lauter sie singen und loben, desto grösser ihre Chance, vom Giesskannensegen zu profitieren.
Doch dann gibt es auch die gang ganz Frechen, die nicht nur das Jahr hindurch unartig sind und nun ihre Strafe bekommen, sondern – ich bringe es fast nicht über das Keyboard – die nicht an St. Nikolaus glauben.