Steuern am Pranger
David Dürr - Basler Zeitung 06.07.2013
Sind Sie auch für den Steuerpranger? Ich bin es sehr. Steuern gehören an den Pranger!
Menschen hingegen würde ich nicht an den Pranger stellen. Das ist viel zu erniedrigend. Und vor allem appelliert es an Verhaltenspotenziale des Publikums, die man lieber sein lässt, an feiges Agieren aus der anonymen Masse. Der am Pranger Angebundene wird nicht von individuellen Gegnern, sondern vom grölenden Mob geschmäht, bespuckt und mit faulen Äpfeln beworfen. Nicht zufällig war der Pranger schon immer ein beliebtes Instrument der Obrigkeit, um Aggressionspotenziale der Masse zu steuern. Da eignete sich der Pranger nicht nur zur Ablenkung von Schwächen der Obrigkeit, sondern vor allem auch zur Umlenkung gegen solche, welche auf diese Schwächen hinwiesen. So liess sich im gleichen Aufwisch ein unliebsamer Kritiker verunglimpfen und die Masse in primitivem Herdenverhalten einüben. Ein prominentes Beispiel eines solchen Staatskritikers war Daniel Defoe (der Autor des weltberühmten Robinson Crusoe), den das regierende Regime im Jahr 1703 wegen eines geistreichen aber unbotmässigen Pamphlets für drei Tage in London an den Pranger stellte.
Dazu passt nun auch die aktuelle Idee des notleidenden Steuerstaats, renitente Steuerpflichtige an den öffentlichen Pranger zu stellen: Ein biederer Gemeindepräsident liess kürzlich schon einmal vor laufender Kamera symbolisch einen Holzbock mit den drei Löchern für den Kopf und die beiden Hände aufstellen. Eine privat vielleicht harmlose Präsidentin einer anderen Gemeinde verlas die Namen einiger Steuerkneifer in der Gemeindeversammlung. Und schon flogen faule Äpfel in Form von Gratulationsschreiben für den grossartigen „Mut“, welche diese Präsidentin an den Tag gelegt habe. Höhere Regierungsleute empfahlen zwar Zurückhaltung, aber nicht weil sie den Pranger verabscheuten, sondern weil sie ihn selbst einführen wollten. Emsige Nationalräte sind bereits daran, rechtlichen Grundlagen dafür auf nationaler Ebene zu skizzieren.
Was haben nun Steuersünder mit unerschrockenen Staatskritikern zu tun, wie z.B. Daniel Defoe einer war? – Es treffen beide sehr präzis die Schwachstellen des herrschenden Regimes, dessen schlimmste Zynismen und eklatanteste Anmassungen. Nichts anderes als das sind die Steuern. Da wird den Leuten doch einfach deshalb Geld weggenommen, weil sie solches haben. Daniel Defoe würde sich nicht scheuen, dies schlicht Diebstahl zu nennen. Angesichts bizarrer Steuerrechtfertigungen von wegen gesellschaftlicher Solidarität und demokratischer Legitimation würde er vielleicht auch von arglistigem Betrug reden. Dort wo das Inkasso gar mit staatlicher Gewalt erfolgt, würde sich Defoe nicht scheuen, von Raub zu sprechen. In etwa das bringen die zahlreichen Steuerrenitenten zum Ausdruck, nicht explizit zwar, aber durch ihr Verhalten. Und genau deshalb will sie die Obrigkeit an den Pranger stellen und vom Mob bespucken und schmähen lassen.
Übrigens: Daniel Defoe hatte noch vor seinem Strafantritt eine „Hymne auf den Pranger“ verfasst, die mit virtuoser Ironie jene blossstellte, die ihn an den Pranger brachten. Das Gedicht wurde während der drei Prangertage in der ganzen Stadt verteilt und liess Defoe zum Helden, die Obrigkeit aber zur jämmerlichen Lachnummer werden. Heute wird diese Hymne gern als geistreiche Schrift gegen dummdreiste Staatsmacht zitiert…