Too Big To Fail-Regulierung
David Dürr - Basler Zeitung 2.11.2011
Der Staat predigt Wasser und trinkt Wein
Grossbanken – so sagt man nicht ohne Grund - seien zu gross um zu fallieren, too big to fail (TBTF); nicht dass sie nicht fallieren könnten, aber dass sie es nicht dürfen. Sie seien nämlich „systemrelevant“. Das heisst, sie erbringen „volkswirtschaftlich unverzichtbare Leistungen“, beispielsweise Zahlungsverkehr, und zwar derart umfassend, komplex und verflochten, dass im Konkursfall viele Andere mit ins Verderben gerissen würden. Um eben dies zu vermeiden, hat auch hierzulande der staatliche Gesetzgeber für Grossbanken Too Big To Fail (TBTF)-Vorschriften erlassen. So weit so recht.
Wer diese Vorschriften nun aber näher anschaut, fragt sich vor allem eines: Wie kommt dieser Staat dazu, diese Vorschriften nur gerade den beiden Grossbanken aufzuzwingen? Wo es in der Schweiz doch ein anderes Grossunternehmen gibt, das noch viel dringender im Fokus stehen müsste – nämlich der Staat selbst! Was dieser den Grossbanken vorhält, überbietet er selbst um ein Mehrfaches; was er von ihnen verlangt, erfüllt er selbst nicht annähernd; und was er ihnen androht, ist bei ihm selbst ein Tabu. Er predigt Wasser, trinkt selbst aber Wein.
TBTF-Regeln
Die TBTF-Regeln verlangen Dreierlei:
Die Systemrelevanz grosser Unternehmen soll möglichst reduziert werden. D.h. volkswirtschaftlich unverzichtbare Leistungen sollen nicht geballt oder grossräumig verflochten, nicht konzentriert von wenigen Grossen, sondern dezentral von möglichst vielen Kleinen angeboten werden. Dies soll es im Konkursfall ermöglichen, dass andere Anbietern kurzfristig einspringen.
Solange es systemrelevante Grossunternehmen aber (noch) gibt, sollen sie sich so stärken, dass das Kollapsrisiko möglichst gering ist. Zu diesem Zweck wird ihnen vorgeschrieben, ein sehr hohes Eigenkapital zu äufnen und mit starken Zusatzpuffern auszurüsten, je nach dem bis gegen (teure) 20% der risikogewichteten Aktiven.
Für den Fall schliesslich, dass es trotzdem zum Konkurs kommt, haben diese Unternehmen ihre organisatorische Struktur auf den Liquidationsfall auszurichten. Sie sollen ihre spezifisch systemrelevanten Funktionen beizeiten in jeweils eigenständig funktionierende Tochtergesellschaften auslagern, die beim Konkurs der Muttergesellschaft ohne Störung der jeweiligen Funktion verkauft werden können.
TBTF-Test für den Staat
Wendet man nun diese Vorschriften auf den Staat selbst an, ergibt sich Erstaunliches:
Das systemrelevante Unternehmen par excellence ist nämlich dieser Mischkonzern mit Hauptsitz in Bern, der den Namen „schweizerische Eidgenossenschaft“ trägt, ein Führungsorgan namens „Bundesrat“ sowie Immobilien, Anlagen, Fahrzeuge, Flugzeuge etc. und rund 37'000 Mitarbeitende hat, einer der grössten Arbeitgeber im Land. Die Branche, in der er aktiv ist, könnte systemrelevanter nicht sein: Recht, Ordnung, Verkehr, sozialer Friede, Schutz der Schwachen, nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen etc. Und monopolistisch geballte Einflussnahme ist geradezu sein Markenzeichen, postuliert er doch ausdrücklich einen Anspruch darauf, seine Leistungen konkurrenzlos anzubieten.
Jedenfalls ein bemerkenswerter Widerspruch zur TBTF-Vorschrift, wonach gesellschaftlich unverzichtbare Leistungen möglichst klumpenfrei, unverflochten und dezentral angeboten werden sollten.
Und wollte man diese Staatsmonopole noch hinnehmen (warum eigentlich?), so wäre jedenfalls umso konsequenter der zweite TBTF-Ansatz durchzusetzen, nämlich die Vorschrift eines besonders hohen Eigenkapitals. Indes, unser Grosskonzern hat nicht bloss ein viel zu kleines Eigenkapital im Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiven. Nein, er ist massiv überschuldet. Seine Bilanz weist per 31. Dezember 2010 eine Überschuldung von CHF 31 Milliarden bzw. von 30% der Bilanzsumme aus.
Den Grossbanken setzt er eine Frist von wenigen Jahren, ihr bereits heute positives Eigenkapital je nach dem bis gegen 20% anzuheben. Dass er selbst ein negatives Eigenkapital von 30% hat, lässt ihn nicht einmal erröten.
Und auch die dritte TBTF-Vorschrift ist weit davon entfernt, auch nur ansatzweise respektiert zu werden. Organisatorische Vorkehren gegen den sich abzeichnenden Staatskonkurs, vor allem die Auslagerung systemrelevanter Funktionen (Sicherheit, Gesundheit, Bildung etc.) auf eigenständige Tochtergesellschaften, sind kein Thema. Das Gros der Bundesleistungen wird noch immer in sieben „Departementen“ von 90 sogenannte „Ämtern“ erbracht, das heisst von eng in den Grosskonzern eingebundenen Abteilungen, die sich beim Konkurs der Gesamtorganisation unmöglich in nützlicher Frist herauslösen und an einen neuen Träger veräussern lassen.
TBTF-Liquidation
Was würde passieren, wenn eine Grossbank derart eklatant den TBTF-Regeln zuwider leben würde? Da bliebe nichts anderes als die Zwangsliquidation; allenfalls nicht gleich der schnelle Konkurs, sondern die etwas behutsamere Nachlassliquidation, die sich mehr Zeit nimmt und etwa die Möglichkeit bietet, die bislang unterbliebenen Betriebsaussonderungen nachzuholen, auf dass die betreffenden Teilbereiche erhalten und als solche verkauft werden können.
Genau dies müsste doch nun beim Staat passieren: Sofortige Einleitung einer behutsamen Nachlassliquidation, Auslagerung der systemrelevanten staatlichen Kernfunktionen auf separate Tochtergesellschaften und kontrollierter Verkauf derselben an solide, sich im Wettbewerb bewährende Privatunternehmen. – Wasser nicht nur predigen, sondern auch trinken!